Wie On- und Offline zusammen wächst
Was seit circa zehn Jahren in E-Commerce-Kreisen immer wieder als next Big Thing gehypt wird ist die Augmented Reality. Man denkt hier an den Möbelkauf, bei dem man per Kamerafunktion im Raum direkt das gewünschte Möbelstück einfügen kann und so sehen kann, wie man das Produkt positionieren könnte. Oder an die diversen Versuche, die virtuelle Anprobe zu etablieren, etwa Adidas-Sneaker, die per Snapchat-Filter an die Füße gezaubert werden. Oftmals war die User Experience ziemlich ruckelig und für mehr als ein kurzes Ausprobieren hat es nicht gereicht. Augmented Reality unterscheidet sich von der Virtuellen Realität in dem Sinne, dass es die bestehende Umgebung erweitert. Im Metaverse begibt man sich dann allerdings komplett in einen virtuellen Raum. Wer hier die richtige Technik einsetzt, kann prinzipiell alles erschaffen – virtuelle Räumlichkeiten bis hin zu eigenen Markenwelten, die diesen Namen wirklich verdienen.
Was ist möglich?
Der Vergleich von Videospielen und Metaverse liegt natürlich nahe. Welten, die wir uns nur vorstellen können, Dinge tun, die wir uns nur erträumen können. Das ist aber kein Zukunftsgeplänkel. Bereits jetzt finden massive Events im virtuellen Raum statt, . So hat der Rapper Travis Scott ein Konzert in der virtuellen Realität des Spiels Fortnite gegeben, bei dem über 12,3 Millionen (einige Schätzungen zufolge sogar mehr als 27 Millionen) Menschen zusahen. Für die jüngeren Generationen werden solche Events mehr und mehr zum Alltag. Ein für den V-Commerce noch spannenderes Beispiel aus der Gamingwelt: Die Verkaufsplattform von Roblox. Roblox ist eine Art Minecraft-Klon, bei dem Spieler nach Lego-Prinzip auch eigene Spiele basteln und anderen Usern zur Verfügung stellen können. Inzwischen hat es aber auch eine eigene Verkaufsplattform. Und diese ist nicht für den Verkauf von In-Game Items zwischen Nutzern. Auch Händler und Shops können dort ihre Waren in digitalen Shops anbieten. Dank strategischen Partnerschaften findet man dort schon Shops von Walmart, Nike und sogar Gucci. Bislang besuchen viele Nutzer diese Shops zwar noch am eigenen Rechner, Handy oder Tablet. Aber der Sprung zu VR ist hier ein kurzer. Gerade wenn Generation Y und nachkommende Gefallen an diesen Verkaufsmethoden finden, besteht die Chance für den V-Commerce, sich in ein paar Jahren als feste Branche zu etablieren.
Vorteile für Händler
Doch wie können sich nun Online-Händler die Möglichkeiten der virtuellen Realität zu eigen machen und welche Vorteile bringt die Einarbeitung von VR im Online-Shop?
- Customer Experience verbessern: Zum einen lassen sich in der dreidimensionalen Welt die eigenen Produkte wesentlich lebendiger darstellen. Die In-Shop-Experience wird so zu den Kunden nach Hause gebracht. Doch dies ist erst der Anfang. Die Entwicklung im V-Commerce wird über den einfachen Shop hinausgehen. So soll irgendwann die komplette Experience, die man in einem realen Laden genießt, inklusive Bedienung und Hilfestellung durch das Ladenpersonal, virtuell stattfinden. In Echtzeit sollen Kunden bedient werden, durch richtiges Personal und auch durch KI-Assistenten.
- Stärkere Markenbindung: Die verbesserte Customer Experience hat natürlich auch zur Folge, dass sich der Kunde leichter an die eigene Marke bindet, denn wer gute Erfahrungen sammelt, kommt gerne wieder. Im VR-Raum lassen sich ganz besondere Events gestalten und der Shop so individuell anpassen, wie es nur irgendwie möglich ist. Eine Marke für Outdoor-Bekleidung kann die neue Winterkollektion direkt in einem arktischen Setting präsentieren, die Kollaboration eines Streetwear-Labels mit einem Rapper kann global vorgestellt werden, inklusive Live-Konzert.
- Neue Verkaufskanäle durch das Anbieten von digitalen Gütern: Als der erste Hype um das Metaverse begann, wurde für Marken der Vorteil des NFT-Verkaufs besonders hervorgehoben. Denn im Metaverse springt man von einer Welt zur nächsten; vom Meta-Chatraum zum Live-Konzert. Da man den Avatar aber in jedem Bereich behält, besteht die Möglichkeit, diesen virtuell anzupassen. Bekleidungsmarken können ihre physische Kollektion digitalisieren und für diese Avatare verkaufen. Wer sich einmal ansatzweise mit Fortnite und Co. beschäftigt hat, weiß, was für eine Strahlkraft solche digitalen Outfits oder „Skins” haben. Es ist nicht auszuschließen, dass auch im Metaverse entscheidend sein wird, sich in den neuesten Trend-Pieces zu präsentieren. So wurde bereits eine Gucci-Handtasche verkauft, deren digitale Version teurer war als die aus der echten Welt. Aber auch abseits des Modehandels wird es im Metaverse neue Verkaufs- und Upselling-Chancen geben. Möbelhäuser können etwa die Einrichtungsberatung direkt im virtuellen Raum anbieten – oder sogar virtuelle Möbel anbieten. Reiseanbieter können ihre Kunden von der heimischen Couch auf das andere Ende der Welt schicken.
- Bessere Datenerhebung und Nutzung: Eine der Grundideen des Metaverses ist es, mit der Fragmentierung des Internets aufzuräumen. Mark Zuckerbergs Traum, speziell auf seine Version des Metaverses, ist eine einzelne Plattform. Statt eines Logins für einzelne Dienste, reist man als eigener Avatar in die Welt von Dienst X zu Dienst Y. Dies hat zur Folge, dass die Online-Identität sich verändert. Da das Ende der Cookies irgendwann wahrscheinlich kommen wird, ist es für Händler extrem wichtig, weiterhin ihre Kunden zu verstehen. Im Metaverse wäre alles verstärkt an den eigenen Avatar und das eigene Profil verknüpft. So ließe sich ein deutlich besseres Bild des Kunden zeichnen.
Ist der V-Commerce der Retter des Handels?
Wird der V-Commerce dabei alle Probleme des Handels lösen? Kann etwa das virtuelle Anprobieren die Retouren-Problematik lindern? Laut einer bevh-Umfrage planen knapp 16 Prozent der Verbraucher beim Bestellen bereits mit ein, dass sie Waren auch wieder zurückschicken werden. Knapp ein Viertel nimmt auch ganz bewusst Retouren vorab in Kauf, um „besser” zu shoppen, etwa indem Produkte in verschiedenen Größen bestellt werden. Hier ist es realistisch, dass der V-Commerce diesen Zahlen zwar entgegensteuern und diese reduzieren wird, weil man Produkte intensiver erlebt und ausprobiert. Aber den Faktor des In-der-Hand-Habens wird das Metaverse wohl nie komplett abdecken.
Mit dem Metaverse und den Möglichkeiten der Virtual Reality sollte sich jeder Shopbetreiber und jeder, der irgendwas mit dem Handel zu tun hat, beschäftigen. Wie realistisch es momentan ist, komplett einzusteigen, steht auf einem anderen Blatt. Dazu sind noch zu viele Fragen offen: Was ist letztendlich DIE Plattform des Metaverses? Momentan ist es noch sehr dezentralisiert: Das Metaverse von Meta, einzelne Plattformen wie Roblox oder auch die Umgebung von Apples Vision Pro, die auf Apples eigenen Apps basiert. DAS Metaverse gibt es noch nicht. Auch die Hürde, eine eigene VR-Umgebung zu erstellen, ist vielleicht noch etwas hoch. Sucht man gerade Anbieter auf der Entwicklerseite, findet man eine Art „Goldgräber”-Stimmung vor, ähnlich wie bei Webdesignern Anfang der 00er Jahre. Shopbaukastensysteme, in denen man sich so etwas selbst zusammenklicken kann, sind aktuell noch nicht verfügbar. Deswegen gibt es noch keine einheitlichen Wettbewerbspreise. Aber: Anfragen kostet nichts.
Fazit
Es ist eine spannende Zeit für den Handel. Für Kunden wie Händler gibt es im V-Commerce etliche Optionen. Gerade die jüngeren Generationen nehmen den V-Commerce oder zumindest V-Commerce-ähnliche Services schon sehr gut an. Wer schon jetzt in die notwendigen Technologien investiert, kann sich einen kostbaren Vorsprung erkaufen. Denn: Der Verkauf in virtuellen Räumen ist das Einkaufserlebnis der Zukunft.