Erfahrungsgemäß setzen sich Trends und Entwicklungen in Business-to-Business-Branchen (B2B) später durch als im Business-to-Customer-Sektor (B2C). Das ist auch mit Blick auf Direktvertrieb so: Im Gegensatz zu vielen B2C-Branchen, in denen Direct-to-Consumer-Modelle (D2C) bereits zunehmend praktiziert werden, stehen die meisten B2B-Unternehmen noch ganz am Anfang. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen können Kunden im B2B-Sektor – anders als im B2C-Geschäft – in der Regel nicht so klar umrissen werden, sondern stellen eine Gruppe ganz unterschiedlicher Entscheidungsträger aus verschiedenen Unternehmen dar. Zum anderen verfügen die wenigsten B2B-Unternehmen über Strukturen für ihr D2C-Modell, sondern müssten diese ganz neu aufbauen – ein großer Aufwand, dessen Ertrag bzw. Mehrwert schwer einzuschätzen scheint.
Dabei ist der Mehrwert eines D2C-Ansatzes aus meiner Sicht unbestreitbar. Denn was B2C-Unternehmen hilft, gilt auch für die meisten B2B-Akteure: Durch die im Rahmen eines D2C-Ansatzes gesammelten digitalen Daten lernen die Unternehmen ihre Kunden immer besser kennen und können mithilfe der daraus gewonnenen Erkenntnisse ihren Vertrieb, ihr Marketing und ihre Kundenkommunikation verbessern bzw. noch stärker auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zuschneiden.
Daten bedeuten Wissen
Der digitale Direktvertrieb bietet dabei ergänzend zu den Informationen aus anderen Quellen (z.B. Marktforschung) vor allem einen Mehrwert: Datenhoheit. Denn Unternehmen erhalten dadurch nicht nur gewisse Informationen exklusiv. Sie können zudem jederzeit auf sämtliche Daten zugreifen sowie Verknüpfungen zwischen verschiedenen Datensätzen herstellen, die gegebenenfalls zu neuen Erkenntnissen führen.
Dadurch entsteht ein ganzheitlicher Blick auf die Kundschaft, durch den auch Unternehmen im B2B-Umfeld ihre Zielgruppe bzw. Buyer Personas immer besser kennenlernen: Wie und wo informieren sie sich? Vor welchen Herausforderungen oder Bedenken stehen sie? Welche Informationen benötigen sie wann?
Wissen gezielt nutzen
Das generierte Wissen können Unternehmen dann auch im B2B-Umfeld nutzen, um individuelle Customer Journeys für die Entscheidungsträger in den für sie relevanten Betrieben zu gestalten. Jeder direkte Kundenkontakt liefert zusätzliche Informationen – einen Mehrwert, den die Akteure nutzen können, um ihre Vertriebs-, Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen fortlaufend zu optimieren und immer stärker auf die Bedürfnisse ihrer Stakeholder auszurichten. Doch der Aufwand lohnt sich, denn Unternehmen erzielen damit zahlreiche Vorteile:
Treue:
Sind B2B-Kunden einmal zufrieden, vergleichen sie bei zukünftigen Käufen in der Regel – anders als die meisten Konsumenten – nicht erneut Anbieter und Preise.
Marge:
Durch den Direktvertrieb entfällt der Zwischenhändler, wodurch die gesamte Marge beim Unternehmen selbst verbleibt.
Aftersale-Service:
Unternehmen, die Ersatzteile verkaufen oder andere Dienstleistungen nach dem eigentlichen Kauf anbieten, können durch den direkten Kontakt zu den Käufern ihren Service verbessern.
Self-Service:
Laut einer McKinsey-Studie nutzt ein Drittel befragter Entscheider Self-Service-Funktionen in Onlineshops. Mit einem Shop und auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichteten Prozessen können Unternehmen sich also vom Wettbewerb abheben und Kunden langfristig an die eigene Marke binden.
Fazit
B2B-Player können nicht von heute auf morgen voll auf einen D2C-Ansatz schwenken. Vielmehr gilt es, die direkte Kundenverbindung als Chance zu begreifen und die Grundlage dafür über einen eigenen Shop oder andere Kanäle zu schaffen. Denn auch wenn es etwas länger dauert: Auch im beruflichen Kontext erwarten immer mehr Kunden digitale und individuelle Services sowie mehr Convenience. Durch den Direktvertrieb erweitern Unternehmen ihre bestehenden Kanäle und steigern dadurch die Chance auf höhere Margen, besseren Service und mehr Kundentreue.
Die unklare bzw. heterogene Zusammensetzung der Zielgruppe im B2B-Umfeld macht für Unternehmen den Start eines D2C-Ansatzes zwar vielfach schwieriger, aber keinesfalls unmöglich. Die Sorge vor zu hohem Aufwand sollten Entscheider aus meiner Sicht differenzierter betrachten. Zum einen bieten die beschriebenen Vorteile vielfältige Chancen, das eigene Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen. Zum anderen gibt es heutzutage zahlreiche Programme und sogar Dienstleister, die bei der Einführung technischer Strukturen unterstützen. Vor allem aber ist längst klar: Eine Digitalisierung möglichst vieler Prozesse und Abläufe in Betrieben ist unabdingbar, um wettbewerbsfähig zu bleiben.